Von der Kanzel in die Kneipe

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Kennst du eigentlich die Geschichte, wie ein kleiner Pastor von der Kanzel in die Kneipe kam? Genau genommen ist das eine echt spannende Story, daher habe ich mir heute vorgenommen, dich ein wenig mitzunehmen: In die Geschichte der vergangenen Monate – und den Start des Bebop Strassebersbach.

Veränderungen fallen nicht leicht.

Mittlerweile ist es länger her. Überraschend bekam ich die Nachricht, dass meine Zeit als Jugendpastor an ein Ende käme und ich mir Gedanken über meine Zukunft machen müsse. So begann ein Weg, der äußerst spannend zu gehen war und ist. Dass er von der Kanzel in die Kneipe führen würde, hätte ich mir vor zwei Jahren nicht mal im Traum ausmalen können.

Veränderungen fallen grundsätzlich nicht leicht. Niemandem. Gerade die vergangenen drei Jahre haben in unserem Land und in unserer Gesellschaft so viel verändert, dass immer mehr Menschen am liebsten die Reißleine ziehen möchten. Auch ich philosophiere manchmal, wie schön das Leben hätte sein können, wenn weder Corona, noch Russen gekommen wären.

Die Vergangenheit lässt sich aber nicht zurück drehen. „Nun aufwärts froh den Blick gewandt und vorwärts fest den Schritt“, lautet es in einem alten Kirchenlied. Dieses Mindset hat mir geholfen, durch die letzten Monate zu kommen und neue Perspektiven zu finden.

Aus der Dorfgemeinde zur digitalen Kirche.

“Bald bin ich kein Pastor mehr”, lautete es in einem meiner letzten YouTube-Videos. Ganz so ist es ja aber gar nicht. Ich arbeite nur nicht mehr in einer festen Gemeinde. (Kannst du dir ja in dem Video genauer ansehen…) Warum habe ich diese Entscheidung getroffen? Nein, ich habe dem Pastorendienst nicht völlig den Rücken gekehrt. Die zwölf Jahre in Leitungsfunktion einer Gemeinde haben mir viele schöne Momente beschert, Menschenleben verändert und ich konnte unglaublich viel lernen und persönlich wachsen.

Nach einigen Gesprächen stand schnell fest: Die Gemeinden, die in meiner Umgebung liegen und nach Pastoren suchen, brauchen andere Persönlichkeiten, als mich. Benötigt werden treue Hirten, die ihre Schäfchen begleiten, auf Sorgen hören und viele gemeinschaftliche Angebote platzieren. All das könnte ich zwar, es wäre aber nicht meine größte Berufung.

Meine Welt wird immer digitaler. Ich bin überzeugt, dass die Zukunft Europas in der Digitalisierung liegt. Ist es da nicht auch naheliegend, Kirche im digitalen Raum zu gestalten? Also engagiere ich mich in der betaKirche und freue mich jedes Mal über Veranstaltungen oder Meetings, weil wir endlich groß und weit denken können.

Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.

So sagte es es der Allmächtige einst zu Paulus. Im vergangenen Jahr habe ich das selbst erlebt. Ich wurde sehr krank. Immer wieder hört man davon, dass Stress und Unausgeglichenheit sich auf die Psyche auswirken können. Eine weitere Reihe von Bewerbungs- bzw. Berufungsprozessen begannen und verliefen im Sande. Es gab keine Perspektive und trotzdem kam die Entscheidung, dass meine Anstellung definitiv ein Ende haben würde. Drohende Arbeitslosigkeit, keine weitere Zukunft und zack, der Kopf war aus.

Letztendlich haben es nur wenige Menschen aus meinem engsten Umfeld mitbekommen. Obwohl ich auch auf SocialMedia immer wieder mit meinen Schwächen und Macken unterwegs bin, ging das dieses Mal nicht. Es war einfach keine Kraft mehr da. Vielleicht brauchte es auch einfach diese Kraft, um den Weg von der Kanzel in die Kneipe Stück für Stück zu realisieren.

Ein Gott der das Meer teilt, findet immer einen Weg.

Hin und wieder ist es faszinierend, welche Wege Gott mit den Menschen geht. Gerade dann, wenn alles dunkel und düster erschien, kamen krasse Zeichen des Himmels. Sehr gut noch kann ich mich an innere Fragen erinnern, ob ich jemals wieder predigen würde. Prompt in diesem Moment erhielt ich die Anfrage, ob ich kurzfristig für einen Kollegen einspringen könne. Es folgten viele weitere Momente: Taufen und Beerdigungen, Anfragen für Hochzeiten und Einladungen zu vielfältigen Gemeindeveranstaltungen. Zeitweise war es sogar so, dass ich mehr geistliche Dienste innerhalb einer Woche ausgeübt habe, als sie in der pastoralen Anstellung innerhalb eines Monats möglich waren.

Diese Erfahrungen haben mich ermutigt, einen spannenden neuen Weg einzuschlagen. Nun bin ich arbeitslos, lerne neue Dinge und bereite mich auf eine andere Zukunft vor: Ich werde gerne weiter als Pastor unterwegs sein, mein Geld zum Leben aber selbstständig verdienen. Es gibt dann keine Gemeinde mehr, auf deren Spendenbereitschaft (oder Beschwerdemanagement) ich angewiesen bin. So, wie man dem Ochsen beim Dreschen nicht das Maul verbinden soll, kommt von mir eine Rechnung für getane Arbeit.

Das Bebop Strassebersbach wurde geboren.

Ein kleiner Teil in dieser Richtung wird das Bebop sein. Nein, weder heute, noch in einigen Monaten wird es auch nur ansatzweise Überschüsse erzielen und Geld zum Leben lassen. Jetzt, während ich diesen Artikel tippe, kann ich mich auch nicht intensiv einbringen, weil die Zeit der Arbeitslosigkeit für die berufliche Neuausrichtung genutzt werden soll. Wenn das Konzept aber aufgeht, könnte die Lage in zwei Jahren ganz anders aussehen.

Das Bebop begann eigentlich bei einer regelrechten Schnapsidee (nein, besser Weinidee): Räume waren längst vorhanden, zum x-ten mal träumte ich mit meinem Freund Stefan davon, diese Räume zum Leben zu erwecken. An einem besonderen Abend schauten wir uns dann in die Augen und fragten uns: “Warum denn eigentlich nicht?” Also haben wir mit Planungen begonnen, Gespräche geführt und dann Wochen später die ersten Unterschriften geleistet.

Manche Chance gilt es zu ergreifen.

Eigentlich ist es völlig bescheuert. In Zeiten, in denen man überall hört, wie die Geschäfte schließen, machen zwei Typen etwas Neues auf. Ein Gast sagte am zweiten Öffnungstag (zugegebenermaßen nach einigen Hopfenkaltschalen): “Entweder habt ihr Eier wie Elefanten oder ihr seid völlig bescheuert.” Die Antwort, dass eventuell beides zutreffen könne, verkniff ich mir lieber.

Tatsächlich ist es aber wirklich so. Wir haben etwas Neues aufgemacht. Wo soll man denn auch bei uns auf dem Dorf noch hingehen, wenn man nicht vollgeraucht und vom Lärm gestresst heimkommen möchte? Mein Freund Stefan und ich öffneten im November das Bebop Strassebersbach. Als gemütlicher Laden in der Dorfmitte bieten wir einen Begegnungsraum für alle Menschen jeglicher Couleur. Nein, auch wenn ich Pastor bin, ist das kein christliches Ding. Man braucht keine Angst vor Bekehrung zu haben und wird nur seltenst im Bierkonsum beschränkt. Hier geht es um das Dorf, um einen Raum, um ein Zuhause für viele.

Die Reaktionen waren und sind überwältigend. Niemals im Leben hätte ich mir träumen lassen, dass so viele Menschen zur Unterstützung kommen, sich einbringen und dem Ganzen Leben einhauchen. Wir sind unendlich dankbar für viele fleißige Hände, mutmachende Worte und tatkräftige Unterstützung. Manchmal kommen mir heute noch die Tränen, wenn ich an überfordernde Momente denke, in denen plötzlich irgendwer in der Tür stand und Hilfe anbot.

Bebop Strassebersbach

Es ist übrigens keine Kneipe!

Ganz bewusst haben wir uns entschieden, das Bebop Strassebersbach nicht Kneipe, sondern Jazz-Café und Weinstube zu nennen. Eigentlich kann man es äußerlich erkennen, spätestens im Inneren wird es aber überdeutlich: Das Bebop ist keine Kneipe, wie man sie auf den Dörfern kennt. An der Theke schaut man nicht auf Schnapsflaschen, sondern sieht Kaffeemaschinen und Weingläser. Die Getränkekarte besteht nicht aus lauter Bierspezialitäten, sondern präsentiert sich zur Hälfte alkoholfrei. Die harten Sachen für den ordentlichen Rausch stehen unscheinbar in der Ecke, während der große Genuss in Maßen für alle sichtbar ist.

Musikalisch gibt es keine Hits zum mitgrölen, sondern Schallplatten und Kassetten. Die Atmosphäre ist ruhig und gelassen, jede Form von Gewalt und Aggression wird im Kern unterbunden und sofort den zuständigen Behörden gemeldet. Außerdem, das klang ja aber oben schon an: Es wird nicht geraucht.

Du merkst, eigentlich hätte dieser Artikel anders lauten können. Ich kam gar nicht von der Kanzel in die Kneipe, ich verbringe aktuell nur meine Freizeit im Jazz-Café. Tagsüber werde ich weiterhin als Pastor aktiv sein, ab Februar dann hoffentlich in Vollzeit selbstständig und weit über den aktuellen Radius hinaus. Abends öffnet das Bebop die Türen und wir können bei einer Bluna gemütlich über den Sinn des Lebens philosophieren. Es sind spannende Tage und ganz besondere Perspektiven. Ich bin sehr gespannt, was wir gemeinsam erleben werden.

Vielleicht sehen wir uns ja mal vor Ort?

https://www.bebop-strassebersbach.de

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